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Organspende – Tod bei lebendigem Leib

 

 

 

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Organentnahme von einem 18-jährigen Unfallopfer

 

Freitag, der 29.02.1980 – Ein Tag, der nur alle 4 Jahre auftritt, und doch sollte es solche Tage nie wieder geben.

Ein Tag, der mir viel genommen hat und doch hoffe ich, anderen Menschen vielleicht ein wenig damit zu helfen.

Nun, Freitag, eigentlich ein Tag wie jeder andere. Mein Vater reiste mit dem Zug aus (M) an, da er spät war, gab es wohl keine Anschlussverbindung nach Hause mehr, so dass er anrief, mein Bruder Armin soll ihn vom Bahnhof abholen. Armin hatte eigentlich andere Pläne für diesen Abend, seufzte, tat aber, wie ihm aufgetragen wurde. Er setzte sich also in seinen roten Opel Kadett und machte sich auf den Weg nach (SR) zum Bahnhof. Dort lud er unseren Vater und einen Fahrtgenossen aus der Nähe ein, den Vater auf der Zugfahrt getroffen hatte. Die Heimreise sollte beginnen und endete jäh nur wenige Kilometer vom Bahnhof entfernt. An einer Kreuzung krachte ein Baustellen-Pickup mit voller Wucht in das von meinem Bruder gesteuerte Auto.

Der Mitfahrer auf dem Rücksitz, ein Familienvater mittleren Alters, erlitt einen Genickbruch und war auf der Stelle tot. Vater war schwer verletzt, hatte mehrere Quetschungen, unter anderem auch einen Milzriss. Armin schien äußerlich nahezu unversehrt. Er hatte nur wenige leichte Hautverletzungen. Doch er hatte eine Gehirnblutung erlitten. Am späteren Abend, meine Mutter hatte bereits die schlimmsten Vorahnungen, rief die Polizei an und überbrachte die Nachricht vom Verkehrsunfall. Minuten, Stunden, die zur Ewigkeit wurden. Vater wurde in der Klinik notoperiert. Die Milz wurde entfernt. Armin lag alleine auf einem Zimmer der Intensivstation. Angeschlossen an überwachende und lebenserhaltende Gerätschaften. Er lag im Koma.

An einem der nächsten Tage baten die Ärzte uns zu einem Gespräch. Die Erinnerung daran ist so präsent, als wenn es gestern gewesen wäre. Ich war damals nicht ganz 12. Wir standen, meine Mutter, und meine beiden Brüder (23 und 13) im Zimmer, in dem Armin lag. Obwohl er aussah, als ob er schlafen würde, hatte ich für mich das Gefühl, dass er vollkommen auch mit seinem Geist, oder sollte man Verstand sagen, anwesend war. Ich stand zu seinen Füßen am unteren Bettende. Mir kam dieses Bett überdimensioniert vor.

Die Ärzte erklärten uns die Situation, den Zustand meines Bruders und lenkten dann ziemlich schnell das Gespräch darauf, ob man nicht seine Organe, die ja bei dem Unfall alle unversehrt geblieben waren, nicht zur Organspende freigeben wolle….

…. und genau in diesem Moment laufen Armin Tränen über das Gesicht.

Wo die Ärzte doch erklärt hatten, dass er eigentlich schon tot ist, da sein Hirn geschädigt ist. Er sei faktisch hirntot.

Die Tränen erklärten die Ärzte mit einem Reflex.

Mir selbst wurde dieser Augenblick zu viel, ich wurde ohnmächtig. In den nächsten Tagen erfolgten viele Telefonate in der Familie und vor allem auch mit den Ärzten der „Transplantationsklinik“,..

… immer wieder wurde seitens der Ärzte versichert,
dass mein Bruder eigentlich schon tot sei,
er würde nichts mehr spüren und auch von
der Organentnahme nichts mehr mitbekommen.

Wir sollten bedenken, dass durch seine Hilfe anderen Menschen geholfen werden kann, dass ihnen so vielleicht ein neues Leben geschenkt werden kann. Wenn er selbst nicht mehr leben dürfe, so sollte es für uns, vor allem für Mutter ein Trost sein, zu wissen, dass ihr Kind in anderen Menschen weiterleben darf.

Ich kann es auch heute, fast 40 Jahre später, noch immer nicht neutral sehen, unter welchen enormen psychischen Druck sie (die Ärzte) meine Mutter, die ja letztlich die Entscheidung alleine treffen musste, gesetzt haben. Ich sehe mich noch heute neben ihr am Telefon stehen, als sie letztlich die „Freigabe“ zur Organspende unter Tränen und in absoluter Verzweiflung, doch letztendlich in der Hoffnung, dass ihr Kind in anderen weiterleben wird, erteilt hat.

Die Maschinerie lief sofort an. Noch am gleichen Tag wurde Armin per Hubschrauber nach Großhadern ins Klinikum verbracht. Eine Woche später, genau eine Woche vor seinem 19. Geburtstag, kam dann der Anruf aus Großhadern, dass die Transplantation(en) durchgeführt worden sind und man die Geräte, die meinen Bruder am Leben gehalten haben, abgestellt habe:

„Frau B., Ihr Sohn Armin ist jetzt tot!“

War er das denn nicht vorher schon, laut den Aussagen der Ärzte?

Niemand sollte je in so eine Situation kommen müssen.

Ein paar weitere Tage später wurde Armin in einem Zinksarg überstellt. Es war damals durchaus noch Gang und Gäbe, dass Verstorbene offen aufgebahrt wurden, damit man nochmals vom Verstorbenen Abschied nehmen kann. Es war aber von der Klinik zur Auflage gemacht worden, dass der Sarg nicht mehr geöffnet werden darf. So war auch der Sarg verplombt. Die Beerdigung ging von statten. Ich sehe mich, wie ich am offenen Grab stehe und der Sarg in die Erde gesenkt wird. Traurigkeit.

An diesem Tag habe ich nicht nur meinen Bruder begraben, sondern auch meine Mutter. Sie ist daran endgültig zerbrochen, nachdem sie bereits 5 Jahre zuvor ihren ersten Sohn auch zwei Wochen vor seinem 19. Geburtstag durch einen Autounfall verloren hatte.

Man fühlt sich nur noch alleine gelassen….

Ein paar Jahre später „besuchte“ mich Armin eines nachts.
Er erzählte mir, dass er jetzt endlich wieder seinen Frieden gefunden hat.
Für mich war es der Gedanke, dass die Organempfänger nun wohl selbst
ihre „Spende“ wieder zurückgegeben haben.

Wieder ein paar Jahre später, ich machte gerade den Autoführerschein, saß eine Frau „mittleren Alters“ in der Fahrschule stets neben mir. Sie erzählte mir, dass sie jetzt in ihrem Alter noch den Führerschein macht, nachdem ihr Mann vor einigen Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen sei. Es war die Witwe des Mitfahrers im Auto meines Bruders…

Mit lieben Grüßen
Maria B. aus V.

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